Die von mir geschilderten Fälle haben sich in meiner Praxis auf diese Weise zugetragen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen habe ich lediglich die Vornamen meiner Klienten geändert.
Die Ausgangssituation:
Katrin war Anfang 30 als sie zum ersten Mal in meine Praxis kam. Mir fiel sofort ihre Traurigkeit auf. Das war auch der Grund, weshalb sie mich aufsuchte. Sie erzählte mir, dass es ihr schon seit Jahren an Lebensfreunde mangele und sie stets sehr niedergeschlagen war. Katrin selbst führte ihren Zustand in erster Linie auf das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter zurück. Sie nahm ihr nach 30 Jahren noch immer übel, dass sie sie als Kind in die Obhut der Schwiegermutter gegeben hatte.
Die Zusammenarbeit:
Bei mir warf sich die Frage auf, weshalb Katrin dieses Erlebnis derart geprägt hatte, zumal sich die Wohnung ihrer Eltern damals im gleichen Haus befand und sie in diese nachmittags - wenn ihre Mutter von der Arbeit wieder kam - zurückkehrte. Ich erkundigte mich bei ihr, wie sie die Zeit bei der Großmutter in Erinnerung habe - ob sie von ihr übermäßig bestraft worden war oder womöglich Arbeiten verrichten musste, die nicht kindgerecht waren. Sie bestritt dies und versicherte mir, dass sie eine herzliche Beziehung zu der alten Frau gehabt habe.
Ihre Aufstellung brachte ein altes Familiendrama an den Tag: Der zweite Sohn ihrer Großmutter war als Kind verstorben. Ihr ältester Sohn, Katrins Vater, hatte sich von diesem Tag an für die Trauer der Mutter verantwortlich gefühlt. Als er dann selbst ein Kind hatte, hat er es seiner Mutter zum Trost überlassen.
Meine Interpretation:
Katrins fehlende Lebensfreude rührte nicht daher, dass sie als Kind tagsüber von der Großmutter betreut wurde. Ihre Traurigkeit war vielmehr darauf zurückzuführen, dass ihr Vater sie zum vermeintlichen Trost der eigenen, trauernden Mutter instrumentalisiert hatte. Als sie sich nun über die Zusammenhänge bewusst wurde, konnte sie Verständnis für die Entscheidung ihres Vaters aufbringen und ihre Wut, die sie fälschlicherweise auf ihre Mutter projeziert hatte, überwinden.
Die Ausgangssituation:
Als Markus zu mir in die Praxis kam, war er Mitte 30. Er erzählte mir, dass es ihm bereits seit Jahren nicht gelungen war, eine Vollzeitstelle zu bekommen. Deshalb seien mittlerweile seine finanziellen Reserven aufgebraucht und er befürchtete in absehbarer Zeit ein Sozialfall zu werden.
Seine Schilderungen erstaunten mich sehr. Immerhin saß ein ausgebildeter Jurist vor mir. Er war sympathisch, redegewandt und ich hatte keine Zweifel, dass er die beruflichen Aufgaben auf seiner Halbtagesstelle kompetent und gewissenhaft erledigte. Trotzdem hatte er bislang mit keiner seiner zahlreichen Bewerbungen auf eine Vollzeitstelle Erfolg gehabt.
Die Zusammenarbeit:
Nachdem mir Markus weitere Einzelheiten über sich geschildert hatte, fiel mir auf, dass das Thema "Geld" bei ihm eine große Rolle spielte. Er brachte beinahe ALLE Probleme in seinem Leben mit Geld in Verbindung. Außerdem stellte sich heraus, dass seine Geldsorgen über seine Erwerbstätigkeit hinausgingen: Er befand sich zu der Zeit zudem mit Angehörigen in einem Erbschaftsstreit, der die Auszahlung genau diesen Erbes verzögerte.
Ich schlug ihm vor, sein Verhältnis zu Geld aufzustellen. Das Ergebnis war für uns beide äußerst erstaunlich: Begriffe wie "Wohlstand" oder "Reichtum" lösten bei ihm Unwohlsein aus, während Worte wie "Armut" oder "Schulden" ihn zu entspannen schienen.
Nachdem ich ihm den Sachverhalt erklärt hatte, bekam er große Augen und erinnerte sich an einen Vorfall in seinem zwölften Lebensjahr. Er hatte seiner Tante 100 DM aus dem Portemonnaie gestohlen. Er meinte: "Und wissen Sie, was das Schlimmste daran war, Frau Roth? Dass ich nie erwischt wurde. Keiner hat mich je dafür bestraft."
Ich schlug ihm vor, drei Wochen später in einer weiteren Sitzung die Beziehung zu seiner Tante aufzustellen. Doch das war nicht mehr nötig. Eine Woche vor unserem vereinbarten Termin rief er mich an und berichtete fassungslos, dass man ihm eine gut bezahlte Vollzeitstelle angeboten habe.
Meine Interpretation:
Markus' Erlebnis, dass sein Diebstahl unentdeckt und damit auch ungestraft geblieben ist, hatte bei ihm Schuldgefühle ausgelöst, die ihn offensichtlich auch 25 Jahre später noch nicht losgelassen haben. Da dieses schlechte Gewissen für ihn eng mit dem Thema "Geld" verbunden war, scheint er in der Folgejahren einen destruktiven Glaubenssatz wie "Geld ist etwas Schlechtes, denn es verursacht ungute Gefühle" entwickelt zu haben. Die Folge war, dass er sich bei jedem Versuch, sein Einkommen zu erhöhen, unbewusst selbst sabotierte. Nachdem ihm die Aufstellung dies deutlich aufgezeigt hatte, war er in der Lage, zu entscheiden, ob er an dieser Überzeugung weiter festhalten möchte.
Die Ausgangssituation:
Sabine war zum Zeitpunkt unserer Zusammenarbeit Ende 40. Sie hatte den Wunsch, sich selbstständig zu machen. Zunächst wollte sie diese Selbstständigkeit nebenberuflich ausüben. Wenn sich mittelfristig alles gut entwickelte, wollte sie ihr Angestelltenverhältnis verlassen. Doch obwohl sie in den vergangenen Jahren mehrere gute Ideen für eine selbstständige Tätigkeit gehabt hatte und von ihrem Umfeld in ihrem Vorhaben bestärkt und unterstützt worden war, war es ihr nicht gelungen, ihre Pläne in die Tat umzusetzen.
Die Zusammenarbeit:
Nachdem mir Sabine ihre Situation geschildert hatte, war meine erste Frage, an welchem Punkt genau sie in den einzelnen Fällen gescheitert sei. Sie meinte, dass sie immer beim Abschluss der Planung das Gefühl bekam, dass noch etwas fehle. Deshalb hatte sie stets der Mut wieder verlassen.
Meine Absicht war es, herauszufinden, woher dieses Gefühl kam, das sie an der Umsetzung ihrer Selbstständigkeit hinderte. Zunächst haben wir dazu ihre berufliche Situation aufgestellt. Dies blieb jedoch weitestgehend unauffällig. Erst als sie ihre Kinder dazustellte, zeigte sich eine deutliche Lücke auf. Ich zeigte darauf und fragte sie: "Wer fehlt in dieser Lücke?" Sie sah mich plötzlich mit großen Augen an und meinte: "Das Kind, das ich verloren habe."
Sabine erzählte mir daraufhin, dass sie vor der Schwangerschaft mit ihrer jüngsten Tochter eine Fehlgeburt erlitten hatte. Erstaunlich war in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sie dieses Ereignis komplett verdrängt hatte, so dass sie sich nach eigener Aussage in den letzten Jahren gar nicht mehr daran erinnern konnte.
Meine Interpretation:
Sabines Fehlgeburt scheint sie zum damaligen Zeitpunkt emotional derart überfordert zu haben, dass sie sie verdrängen musste. Das ist eine völlig normale Reaktion der menschlichen Psyche. Doch das Gefühl, "dass etwas fehlt" war geblieben. Da Sabine aufgrund ihrer fehlenden Erinnerung nicht in der Lage war, ihre emotionale Lücke mit einem konkreten Ereignis zu verbinden, hatte sie sie unbewusst auf ihre geplante Selbstständigkeit projeziert. Nachdem ihr die Aufstellung dies aufgezeigt hatte, konnte sie dieses Gefühl nun von ihrem beruflichen Vorhaben lösen.